April 2022
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Vor etwas mehr als zwei Jahren, in der Anfangsphase der Corona-Pandemie, war der Rauch in der Weltwirtschaft und den Finanzmärkten so dicht, dass man nichts sehen konnte. Nach Kursrückgängen von 35 bis 50 Prozent an den Aktienmärkten wurden jedoch jene Anleger belohnt, die bereit waren, Risiken einzugehen und faktisch in das brennende Haus zu rennen. Heute haben die Anleger hingegen ganz andere Sorgen: Der Krieg in der Ukraine, die zunehmenden Probleme in China, die hohen Inflationsraten und eine zunehmend auf Zinserhöhungen fokussierte US-Notenbank Fed, um nur einige zu nennen.
Abnehmende Diversifikationseffekte bei gemischten Portfolios
Die Kursrückgänge an den Aktienmärkten sind zwar weniger stark als in der Corona-Krise, allerdings sind die Auswirkungen in den Anlegerdepots ähnlich schmerzhaft. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Anleihen, die in den vergangenen zwei Dekaden bei schwachen Aktienmärkten den stabilen Gegenpol bildeten, in den ersten vier Monaten 2022 ein historisches Beben erlebten und gemessen am Bloomberg Global Aggregate Total Return Index in USD den grössten Verlust seit Lancierung des Index im Jahr 1990 erlitten.
Ein gemischtes 60/40 Portfolio (60% Aktien MSCI World / 40% Anleihen Bloomberg Global Aggregate Total Return Index) hat in diesem Jahr mit einem Verlust von 12.5% in USD einen ähnlichen Rückgang verzeichnet wie in den ersten drei Monaten des «Corona-Jahres» 2020. Dies liegt daran, dass sich infolge steigender Inflationsraten das Zusammenspiel zwischen Aktien und Anleihen geändert hat: Nach zwei Dekaden negativer Korrelation ist diese mit dem Überschreiten der 2%-Marke der Kerninflation (ex Energie und Nahrungsmittel) seit letztem Jahr ins positive Terrain gedreht (siehe Grafik unten).
Gemäss 3Fourteen Research haben sich Staatsanleihen seit 1998 bei 83 der 100 schlimmsten Aktienmarktrückgänge entgegengesetzt zu Aktien entwickelt. Aber dieses Verhältnis war nicht immer so. Vor 1998 boten Anleihen nur an 35 der 100 schlechtesten Tage einen Schutz gegen fallende Aktienkurse. Die offene Frage bleibt daher, ob wir vor einem Regimewechsel stehen. Die Entwicklung seit Herbst letzten Jahres erinnert jedenfalls an die Stagflationsphase von 1966 bis 1981, welche für klassische, gemischte Portfolios ebenfalls ein schwieriges Umfeld darstellte.
Bremst das Fed in eine Konjunkturabschwächung?
Die US-Notenbank hat den Inflationsdruck viel zu lange unterschätzt und wird erstmals seit vierzig Jahren damit konfrontiert, eine Inflationsrate von mehr als 8% bekämpfen zu müssen. An den Terminmärkten wird nach der 0.5%igen Zinserhöhung im Mai mit weiteren Zinserhöhungen von insgesamt 2% bis Jahresende gerechnet. Hinzu kommt der Abbau der Notenbankbilanz. Dieser Prozess wird im Juni mit monatlich 47.5 Mrd. USD beginnen (30 Mrd. USD an Staatsanleihen sowie 17.5 Mrd. USD an verbrieften Hypothekarpapieren) und ab September auf 95 Mrd. USD erhöht werden (60 Mrd. USD an Treasuries und 35 Mrd. USD an Hypothekarpapieren). Umgerechnet will das Fed seine Bilanz um mehr als 1.1 Bio. USD pro Jahr schrumpfen. Das anvisierte Tempo ist damit fast doppelt so hoch wie beim letzten Quantitative Tightening (QT) im Zeitraum von 2017 bis 2019. An den Märkten herrscht die Angst vor, dass dieser Prozess zu markant weiter steigenden Zinsen am lange Ende führen wird, weil das Fed als Käufer lang laufender Anleihen wegfällt.
Short-Term Gain, Long-Term Pain?
Tatsächlich könnte QT kurzfristig weniger ein Problem sein, als die Märkte befürchten, denn auf Bundesebene sind die Steuereinnahmen deutlich gestiegen. Normalerweise steigen die Steuereinnahmen im April, aber der Anstieg in diesem Jahr ist massiv, wie der Chart unten zeigt. «Uncle Sam» hat in den ersten 77 Tagen 3.2 Bio. USD an Steuern eingenommen, rund 35% mehr als in der gleichen Periode im Vorjahr.
Da die Steuereinnahmen eng an das Wachstum des nominellen Bruttoinlandsprodukt gekoppelt sind, welches bei etwa 8% liegt, sollte dies nicht überraschen. Allerdings scheint der Markt gleichzeitig die Auswirkungen zu ignorieren, welche dies auf die Emission neuer Schuldtitel haben wird. Es ist durchaus möglich, dass das Volumen der durch das US-Treasury emittierten Anleihen im Vergleich zu den vergangenen Quartalen stärker zurückgehen wird als die Reduzierung der Fed-Bilanz durch QT. Dieser Angebotsmangel könnte sich somit über die Sommermonate unterstützend auf die langfristigen Zinsen und damit alle anderen Anlageklasse auswirken.
Die Steuereinnahmen sind von Bedeutung, wenn sie im Widerspruch zu den Konsenserwartungen stehen. Aktuell überwiegen die Rezessionsängste, allerdings wachsen die Einkommen der US-Konsumenten nominal um 12 % und nach zwei Corona-Jahren haben die Verbraucher insgesamt mehr als 2 Billionen Dollar an überschüssigen Ersparnissen auf die Seite gelegt. Die längerfristig grössere Gefahr für Wirtschaft und Börse dürfte daher eher von strukturell höheren Inflationsraten und einer Margenkompression bei den Unternehmen ausgehen.
Zwei Dekaden langer Rückendwind für Firmenmargen in Gefahr
Die 191 Firmen im S&P 500 («S&P Manufacturer»), die über die vergangene Dekade enorme Margensteigerung zeigten (siehe Grafik unten), zeichnen sich heute für 40% der Gewinne im S&P 500 verantwortlich. Die Hälfte der Firmen kommt aus dem Technologie- und Industriesektor (primär Kapitalgüter). Im Jahr 2005 entfielen 11% der Gewinne des S&P 500 auf den Technologiesektor, heute liegt dieser Anteil bei 27%.
Die Margensteigerungen waren primär auf 5 Faktoren zurückzuführen, von denen vier direkt oder indirekt mit der Globalisierung zusammenhängen. Fallende Zinsen und sinkende Steuersätze waren für zwei Drittel dieser Margensteigerung verantwortlich, der Rest durch die «Globalisierung der Lieferketten», d.h. Lohneinsparungen, geringere Kapitalintensität und effizientere inländische Produktionsanlagen (siehe Grafik unten). Es ist davon auszugehen, dass mindestens drei dieser fünf Faktoren künftig nicht länger einen Rückendwind für die Unternehmensmargen bieten werden.
Entsprechend wird es in Zukunft noch wichtiger, Unternehmen zu identifizieren, die trotz des Wegfalls dieses Rückenwindes ihre Gewinnmargen halten oder gar expandieren können. Oder anders gesagt: Unternehmensspezifische Faktoren werden von immer grösserer Bedeutung, denn die Unternehmen können nicht damit rechnen, durch immer tiefere Zinsen und die Vorteile der Globalisierung die Margen weiter steigern zu können: Sie müssen effizienter werden, durch die Qualität ihrer Produkte / Dienstleistungen ihre Preissetzungsmacht erhöhen und ihr Kapital klug allokieren.